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„HIV ist zu einem Freund geworden“

Gerben Grimmius lebt seit sieben Jahren mit der Diagnose, HIV-positiv zu sein. Irgendwann habe er sich entschieden, das Virus zu umarmen, sagt er. „Aber ich bin nicht das Virus.“

Sein erster Gedanke war nicht, wie sein Leben mit der Diagnose künftig aussehen wird. Nicht, was sie für seinen Beruf, seinen allabendlichen Tanz bis an seine körperlichen Grenzen, bedeuten könnte. „Ich dachte nur: Wie werde ich das meinen Eltern erzählen?“, sagt Gerben Grimmius. Bei dem Musicaldarsteller, der gerade für „Cats“ als Kater Skimbleshanks in Wien gastiert, wurde vor sieben Jahren das HI-Virus diagnostiziert.

„Ich habe gar nicht überlegt, wie ich jetzt damit umgehen werde“, sagt Grimmius heute. Freilich habe ihn der Gedanke gequält, ob er das Risiko sehen hätte sollen und ob er selbst schuld an allem war. „Mit meiner eigenen Zukunft habe ich mich aber nicht beschäftigt. Ich wollte nur wissen, welche Medikamente und Möglichkeiten es gibt, damit ich meinen Eltern mit der schlechten auch eine gute Nachricht überbringen kann.“

Sein erster Gedanke war: "Wie werde ich das meinen Eltern erzählen?", sagt Gerben Grimmius. - © Wiener Zeitung/ Moritz Ziegler
"Meine ehemaligen Mitbewohner sagten, dass sie immer für mich da sein werden - und, dass sie die Handtücher künftig separat waschen werden." - © Wiener Zeitung/ Moritz Ziegler
Man müsse HIV thematisieren, müsse es ansprechen, müsse aufklären, so Grimmius. - © Wiener Zeitung/ Moritz Ziegler

Bis dahin sollte aber noch ein halbes Jahr vergehen. Denn jetzt war einmal Anfang Sommer, und Grimmius wollte nicht, dass dieser schrecklich für seine Eltern werde. Die ersten, die es erfahren haben, waren daher seine damaligen Mitbewohner. „Sie sagten, dass sie immer für mich da sein werden – und, dass sie die Handtücher künftig separat waschen werden“, sagt der 37-Jährige mit einem Lächeln auf dem Gesicht, „weil sie zu wenig über HIV wussten.“ Er sei nicht wütend, sagt er. Mittlerweile sei er – neben verständnisvollen – auch Reaktionen wie diese gewöhnt. „Weil noch nicht alle Menschen aufgeklärt sind.“

Die erste Reaktion ist meist Angst

Darum müsse man HIV thematisieren, müsse es ansprechen, müsse aufklären. Auf das Risiko, „dass eine Tür zugeht, wenn der Moment gekommen ist, dass man es bei einem Date sagen muss“. Die erste Reaktion sei meist Angst. Viele kennen den Unterschied zwischen HIV und Aids, wenn das Immunsystem immer schwächer wird, gar nicht, sagt Grimmius – bei ihm selbst sei das Virus aufgrund seiner Therapie mittlerweile gar nicht mehr nachweisbar. Die Viruslast pro Milliliter Blut sei zu gering für eine Übertragung.

Der Preis dafür ist freilich hoch. Seit der Diagnose richtet sich sein Leben nach der Uhr, nach dem Läuten seines Handyweckers: Anfangs waren es noch drei Tabletten pro Tag, die er pünktlich nehmen musste. Heute ist es nur noch eine, und diese sei zur täglichen Routine geworden, sagt er. Alle sechs Monate muss er zur Kontrolle ins Krankenhaus.

Nebenwirkungen habe er keine. Grimmius wirkt durchtrainiert, er kam mit dem Fahrrad zum Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. „Ich fahre in Wien alles mit dem Fahrrad, weil ich körperlich fit bleiben möchte“, sagt er. Ein Holländer eben – erst seit Juli des Vorjahres wohnt er für „Cats“ in Wien.

Das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben

Vor der Therapie hatte es eine Zeit gegeben, in der das Virus ihn geschwächt hat. Es war die Zeit vor dem HIV-Test. „Ich war auf einem Kreuzfahrtschiff als Sänger in Ägypten unterwegs und wurde gleich zu Beginn krank. Aber ich dachte, das war die Klimaanlage“, erzählt er. Er bekam hohes Fieber und Durchfall. „Ich dachte, das war der Fisch.“ Am schlimmsten sei aber die ständige Müdigkeit gewesen, das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben. Er führte es auf die Sonne zurück. HIV positiv zu sein, glaubte er trotz allem nicht, sagt Grimmius. Zurück in Amsterdam wurde er an einem Checkpoint positiv getestet.

Ein halbes Jahr später hat er es auch seinen Eltern gesagt. „Meine Mutter hatte es schon gespürt. Wir waren gerade in der Küche, und sie hat mich gefragt: ,Wie geht es dir wirklich?‘ Meine Eltern waren schockiert.“ In diesem Moment spulten sich die Phasen der Verarbeitung noch einmal ab – diesmal bei seinen Eltern. Zuerst das Realisieren der Diagnose, dann die Suche nach Hoffnung.

Grimmius hat diesen Moment in einem Lied verarbeitet. „Een goed gesprek“ erschien 2018 in holländischer Sprache auf You Tube, kurz darauf folgten die englische („A pleasant talk“) und die deutsche Version („Ein gutes Gespräch“). „Erst war sie still. Dann strich sie schnell durch ihr Gesicht und sagte, dass sie mich immer liebt. Das tat gut und klang vertraut. Doch in vieler Hinsicht war es wie ein zweites Coming-out“, heißt es gleich zu Beginn des Liedes.

Die Reaktionen auf das Lied seien zahlreich gewesen, sagt Grimmius – von Betroffenen, aber auch deren Freunden und Angehörigen. Von Menschen, die sich mit dem Lied identifizieren konnten und sich gestärkt fühlten. Dennoch hätten auch viele Angst, es ihm gleichzutun, meint er. Angst, den Job zu verlieren oder ihn erst gar nicht zu bekommen, wie Kollegen ein Engagement. Und manche könnten es nicht einmal ihrer Familie oder ihren Freunden sagen – weil sie fürchten, ausgegrenzt zu werden.

„HIV ist ein Tabuthema, und das ist der Grund, warum ich das Lied veröffentlicht habe. Es gibt Lieder über Liebe, über Krieg, aber nicht darüber, wie es ist, mit HIV zu leben.“ Früher habe er es auch nicht geschafft, es anzusprechen. Auch damals nicht, als er nach langer Zeit zufällig seine ehemalige Gesangslehrerin traf. Am Tag zuvor habe sie eine schlechte Diagnose erhalten, habe sie gesagt: Sie habe Brustkrebs. „Das brachte mich zum Nachdenken“, so Grimmius, „ich hätte ihr auch gerne erzählt, dass ich am Tag zuvor eine schlechte Diagnose bekommen habe, aber ich konnte es nicht. Ich habe es ihr nicht gesagt.“

Selbststigmatisierung und Stigmatisierung von HIV

Ihm sei klar geworden, dass die Selbststigmatisierung und die Stigmatisierung des Themas HIV in der Gesellschaft die Gründe dafür waren. Das war der Auslöser, „dass ich dachte, dass ich das umkehren möchte. Dass ich daraus etwas Positives machen möchte – für mich und die anderen“.

Wenn man Grimmius so zuhört, die Lebensfreude aus seiner Stimme hört, glaubt man ihm das auch. „Im Lied beschreibe ich, wie HIV zu einem Freund geworden ist“, sagt er. „Irgendwann habe ich mich entschieden, das Virus zu umarmen, um weitergehen zu können. Aber ich bin nicht das Virus.“ Es sei ein Teil von ihm, genauso wie das Theater. Er habe immer alles positiv gesehen, sagt Grimmius. „Jetzt weiß ich, dass ich mein Leben lang positiv bleiben werde.“

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