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Müchner AIDS-Tage in Berlin

Gespräch mit Birgit Leichsenring (Lambda-Nachrichten) zum Thema PreP

Ende März 2018 fand mit den „Münchner AIDS und Hepatitis Tagen“ eine der großen deutschsprachigen Konferenzen rund um das Thema HIV statt. Und natürlich wurde auch die PrEP diskutiert. In einem Kurzvortrag zum Thema erzählte der Wiener Schwerpunktarzt Dr. Horst Schalk, er habe doch den Bedarf etwas falsch eingeschätzt, als seine Hausapotheke fragte, wie viele PrEP-Packerln sie denn vorbestellen sollen. Die vermutete Menge von 5/6 Packungen war zwar richtig, allerdings nicht auf längerem Zeitraum, sondern wie sich herausstellte, tatsächlich pro Tag. Diese Anekdote aus der Wiener PrEP-Realität war der Anlass, ein Interview mit ihm über die PrEP in seiner Ordination zu führen.

BL: Seit Anfang 2018 gibt es auch bei Euch in der Ordination die PrEP für ca. 60,-€ pro Monat. Wie schnell hat sich diese Information verbreitet? Bzw. konkret: wann sind die ersten Anfragen aufgekommen und wie viele Menschen nehmen bei Euch jetzt eine PrEP?

HS:  Es scheint, dass viele bereits darauf gewartet hatten, dass die Preise sinken. Durch die Entwicklung in Deutschland, war irgendwie zu vermuten gewesen, dass die PrEP auch bei uns kostengünstiger wird. Dementsprechend haben sehr schnell viele Interessenten in unserer Praxis nachgefragt – am Anfang waren es 5/6 Männer pro Tag, jetzt hat es leicht nachgelassen. Zurzeit (Ende März) betreuen wir etwa 140 PrEP-User.

BL: Es verschreiben natürlich auch andere ÄrztInnen die PrEP und es läuft zeitgleich eine Studie dazu – kannst Du abschätzen, wie viele PrEP-User es insgesamt in Österreich momentan gibt?

HS: Das ist schwer zu sagen. Es gibt vermutlich eine Dunkelziffer von PrEP-Usern, welche die Medikamente auf anderem Wege beziehen und daher nicht bei den HIV-Spezialisten vorstellig werden. Bei uns ist es übrigens ganz selten, dass jemand bereits eine PrEP eingenommen hatte und jetzt auf diese neue günstige Variante umsteigt. Wir haben eigentlich nur PrEP-Neueinstellungen. Vielleicht könnte man momentan österreichweit von 400 bis 500 ausgehen, aber wie gesagt – das ist eine reine Vermutung.

BL: Wie denkst Du, entwickelt sich die PrEP? Wird die Nachfrage weiter steigen oder abnehmen?

HS: Das haben wir auch diskutiert und es gibt zwei Szenarien. Die eine wäre, dass der Markt nach den ersten Monaten gesättigt ist, da alle, die auf die PrEP gewartet hatten, gleich angefragt haben. Die andere Variante wäre, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist und es mit der Zeit und durch die Weitergabe von Erfahrungsberichten in der Szene, wesentlich mehr PrEP-User werden. Das kann man jetzt noch nicht beurteilen.

BL: Von österreichweit mal zurück zur lokalen Situation, bzw. konkret zu Eurer Gruppenpraxis am Zimmermannplatz. Wie groß ist denn hier die Gruppe der PrEP-User im Vergleich zur Gesamtzahl Eurer PatientInnen?

HS: Pro Quartal betreuen wir ca. 3.000 PatientInnen, vom Bauchgefühl her würde ich sagen, dass 2/3 davon schwul sind. Insgesamt sind bei uns etwa 1.000 HIV-positive Personen in Behandlung und jetzt sind eben auch ca. 140 PrEP-User mit dabei. Im Verhältnis zur Gesamtzahl also eine kleine Gruppe. Aber durchaus eine zeitintensive Gruppe, denn es braucht natürlich ganz klar ausführliche Beratung.

BL: Jetzt gehst Du mit dem Stichpunkt Beratung schon in die alltägliche PrEP-Praxis. Wie läuft denn das Prozedere für eine PrEP bei Euch ab?

HS: Es ist ratsam, sich bei Interesse an einer PrEP einen Termin zu vereinbaren, das geht nämlich nicht so zwischen Tür und Angel. Da wird erst mal besprochen, was die PrEP ist und was man davon erwarten kann und was eben nicht. Also z.B., dass sie wirklich nur vor einer HIV-Infektion schützt und nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STDs). Und es wird gemeinsam angeschaut, wie oft welches Risiko überhaupt besteht. An Hand dessen diskutieren wir dann das Einnahme-Schema. Es gibt zwei Möglichkeiten, die offiziell zugelassene tägliche Einnahme, oder die sogenannte „on-demand“ Einnahme, bei der die Tabletten nur in den Tagen rund um ein mögliches Infektionsrisiko eingenommen werden. Und abschließend wird noch besprochen, welche Laborkontrollen in welchen Abständen notwendig sind. Am wichtigsten sind hier natürlich die regelmäßigen HIV-Tests, aber z.B. auch die Nierenwertkontrolle.

BL: Die PrEP ist ja keine Kassenleistung, d.h. im konkreten: die PrEP-Medikamente sind mit Privatrezept in der Apotheke zu bezahlen, die Laborkontrolluntersuchungen privat bei Euch in der Ordination?

HS: Genau. Hier gibt es noch manchmal Unklarheiten, da angenommen wird, die Laborkontrollen werden von der Krankenkassa übernommen. Dem ist leider nicht so, was zugegebenermaßen nicht zufriedenstellend ist. Die Kassen sollten viel mehr präventive Medizin übernehmen, aber das Thema fängt ja bereits bei den Impfungen an. Die Situation hängt halt mit dem gesetzlichen Auftrag an die Kassen zusammen, sie haben eben einen kurativen und keinen präventiven Auftrag.

BL: Wenn hier z.B. Unklarheiten bestehen, was sind denn sonst noch häufige Fragen?

HS: Ich muss ganz positiv anmerken, dass die meisten wirklich sehr gut informiert sind. Z.B. dass die PrEP nicht vor anderen STDs schützt. Oder, dass es eben diese beiden Einnahmevarianten gibt.

BL: Du hast in Deinem Kurzvortrag auch eine dritte Variante erwähnt, die Du „Urlaubs-PrEP“ tituliert hattest. Was meinst Du damit?

HS: Die Urlaubsvariante ist quasi mit der zugelassenen durchgehenden Einnahme gleichzusetzen, nur, dass man vorher schon den gesamten Zeitraum kennt. Also praktisch gesehen: man startet eine Woche vor dem Urlaub, nimmt in der Urlaubszeit durchgehend und zusätzlich noch 1 Woche nachher. Ich würde da z.B. an die schwulen Kreuzfahrten denken, da könnte die PrEP eine gute Ergänzung sein.

BL: Wenn wir an Urlaub und in dem Zusammenhang an Sextourismus denken, es gibt natürlich auch weiblichen Sextourismus. Dementsprechend gleich die Frage, hattet Ihr schon Anfragen von Frauen?

HS: Nein, keine. Könnte aber natürlich ebenfalls für Frauen interessant sein. Die durchgehende Einnahme ist ja für Anal- und Vaginal-Verkehr zugelassen, also genauso für Frauen eine Option. Aber ich denke, dass die PrEP in der heterosexuellen Bevölkerung derweil völlig unbekannt ist. Wenn eine Anfrage kommen sollte, na klar, das ist vollkommen OK.

BL: Hast Du denn schon mal jemanden abgewiesen?

HS: Nein. Wir haben jedoch einzelne Patienten, bei denen aus medizinischer Sicht praktisch kein Risiko besteht, die aber unter einer massiven AIDS-Angst leiden. Dann hat die PrEP eher eine psychosomatische Wirkung, damit eventuell wieder eine stressfreie Sexualität gelebt werden kann. Wir sagen natürlich klar, dass es von wissenschaftlicher Seite keinen Grund gibt. Aber wenn es für jemanden durch diese zusätzliche Schutzmaßnahme eine signifikante psychische Entlastung bringt, dann steht dem nichts im Wege.

BL: Zum Thema „PrEP als zusätzliche Schutzmaßnahme“ – spielt das Kondom noch eine Rolle in Euren Gesprächen?

HS: Ja klar. Dennoch man muss realistisch sein. Das Kondom wird halt weglassen oder nicht immer verwendet, vor allem wenn z.B. Chems oder Alkohol im Spiel sind. Und im nüchternen Zustand wird es vielleicht wieder verwendet. Es gibt hier kein schwarz oder weiß.

BL: Das ist durchaus eine häufige Frage,  wenn das Kondom wegen der PrEP weggelassen wird, dann fehlt ja ein Schutz vor anderen STDs.  Wie ist das bei Euch – siehst Du mehr STDs als vorher?

HS: Nein, eigentlich nicht. Aber man muss halt bedenken, dass wir sehr viele schwule Patienten betreuen, bei denen häufig STDs auftreten und daher die Gruppe der PrEP-User im Verhältnis zu klein ist, um etwas zu sehen. Wir haben natürlich schon vor, uns das genauer anzuschauen, ob es bei unseren PrEP-Usern im Vergleich zu vor der PrEP, Veränderungen in Bezug auf die STD-Rate gibt. Momentan sehen wir jedenfalls keine Tendenz.

BL: Für diesen Vergleich, müssen sie natürlich schon länger in eurer Praxis betreut werden, d.h., es sind hauptsächlich Männer, die schon vor Start einer PrEP bei Euch waren?

HS: Vom Gefühl her würde ich sagen, 80% sind unsere Patienten, 20% sind wegen der PrEP neu bei uns. Und ein paar kommen jetzt aus dem Nicht-Wiener Raum, da die PrEP derweil ja nur in zwei Wiener Apotheken erhältlich ist.

BL: Es haben sich also auch bei euch Dinge geändert seit Jahresbeginn. Zum Abschluss vielleicht:  Hast Du ein persönliches Highlight im Zusammenhang mit der PrEP?

HS: Das Highlight haben wir soeben hier auf der Konferenz gehört. Nach den Erfolgen in London, hat jetzt San Francisco bekannt gegeben, dass die Neuinfektionen um die Hälfte zurückgegangen sind. Und natürlich spielt dabei auch die PrEP eine große Rolle.  Eine Infektionsrate zu halbieren – das ist doch einfach sensationell!

BL: Also erst London, dann San Francisco, dann Wien?

HS: Das wäre natürlich der große Plan :- )

…für die Lambda-Nachrichten: Birgit Leichsenring