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Welt-AIDS-Tag 2014 – HIV chronisch statt tödlich

HIV ist weitgehend unter Kontrolle – Experten fordern, auf diese Entwicklung zu reagieren, etwa mit multiprofessionellen Teams und Altersbetreuung.

Wien – es war eine globale Schockwelle, als in den späten 1980er-Jahren Menschen durch einen geheimnisvollen Virus dahingerafft wurden: Rock Hudson, Klaus Nomi, Freddy Mercury waren die ersten prominenten Opfer.

Durch beispiellose Anstrengungen von Wissenschaft, Charity und Medizin ist die Erkrankung heute unter Kontrolle. Mit einer Tablette, einmal am Tag. „Haben uns bis vor kurzem noch die Nebenwirkungen zu schaffen gemacht, haben wir selbst diese Probleme im Griff“, sagt Armin Rieger, Leiter der HIV-Ambulanz am AKH Wien.

Chronifizierung erfolgreich

In den insgesamt fünf HIV-Ambulanzen in Österreich sind aktuell 4147 Menschen in Therapie. Es gibt zwar keine Heilung, doch die Chronifizierung der Erkrankung wird allgemein als großer Erfolg gefeiert und ist ein Fortschritt, der für andere Erkrankungen wie etwa Krebs noch angestrebt wird.

Was dieser Sieg bedeutet: Die Anzahl der HIV-Patienten nimmt in Österreich zu, niemand stirbt mehr an Aids. Die Zahl der HIV-Neudiagnosen hat sich auf 500 pro Jahr in Österreich eingependelt. Über die Daten und Fakten zu der sexuell übertragbaren Virusinfektion wacht Robert Zangerle, Leiter des HIV-Kohortenberichts an der Med-Uni Innsbruck. Langfristig, so Zangerle, bedeute es, dass der Betreuungsbedarf steige, „doch unser Gesundheitssystem ist absolut nicht auf die Versorgung von chronisch Kranken vorbereitet“.

Die Mehrheit der HIV-Patienten wird derzeit in den großen Spitalsambulanzen behandelt. „Wir betreuen 1300 Patienten und sind personell am Limit“, sagt Rieger, der sich gut vorstellen könnte, dass HIV-Patienten in interdisziplinären Praxen auch im niedergelassenen Bereich von auf HIV spezialisierten Ärzten versorgt werden könnten „und nur bei Problemen zu uns ins Spital überwiesen werden“, sagt er.

Genau das machen die beiden Wiener Allgemeinmediziner Horst Schalk und Karl Heinz Pichler, die sich auf „Gay Health“ spezialisiert haben. „Viele unserer Patienten schätzen die persönliche Betreuung, weil Ärzte in den Spitälern oft wechseln und die Wartezeiten dort lang sind. Wir bieten im Gegensatz zu den Ambulanzen auch nachmittags Termine, die meisten HIV-Positiven sind berufstätig“, sagt Schalk.

Besser betreuen

Was die Versorgung chronisch Kranker betrifft, ortet Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, einen generellen Missstand. „Wir brauchen für chronisch Kranke mehr Zeit für Gespräche. Sie werden im bestehenden Leistungskatalog aber nicht vergütet“, sagt er und fordert entsprechende Anpassungen vom Hauptverband.

Dort ist man sich der Notwendigkeit neuer Modelle durchaus bewusst. „Für eine neue Art der Primärversorgung müssen wir das System komplett umkrempeln, neue Kooperationsmodelle schaffen. Mit der Erhöhung der Leistungsvergütung ist es nicht getan“, sagt Josef Probst, stellvertretender Generaldirektor im Hauptverband, und denkt über Pauschalen für chronisch kranke Patientenbetreuung nach. „Das sind gewaltige Veränderungen im bestehenden System, es wird knirschen im Gebälk“, sagt er.

Was Zangerle (Innsbruck) Sorgen macht: HIV betrifft sehr viele medizinische Fachbereiche und wird derzeit teils von Dermatologen, teils von Pulmonologen, aber auch von Infektiologen betreut. „Die Krankheit ist unter Kontrolle und hat damit ihre Dringlichkeit verloren“, sagt er und fürchtet, dass sich dadurch niemand mehr richtig zuständig fühlt.

Dabei wäre es aus demografischer Sicht wichtig: „Je älter HIV-Patienten werden, umso mehr kommen auch sämtliche Alterserkrankungen hinzu, dafür sollte es Expertise geben,“ sagt Zangerle und hofft, dass heute die Weichen für die Versorgungsstrukturen in der Zukunft gestellt werden. „Derzeit gibt es in Österreich kein Einverständnis über die Betreuung chronisch Kranker im Allgemeinen“, betont Zangerle – was für HIV gilt, gelte genauso für Diabetes oder Rheuma.

Psychologische Unterstützung und Sozialarbeit

Dass es immer noch schwierig ist, mit der Diagnose HIV leben zu lernen, erlebt Petra Gmoser, Leiterin der Betreuung in der Aidshilfe, täglich. „Es hat ja viele Auswirkungen, mit denen Patienten zurechtkommen müssen“, sagt sie und befürwortet ein biopsychosoziales Modell, um Krisen von Kranken abfangen zu können. Psychologische Unterstützung und Sozialarbeit seien wichtige Elemente, um „wirklich allen Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Experten ihrer eigenen Erkrankung zu werden“, sagt sie – und gerade in diesen Bereichen fehle es im medizinischen Umfeld an Betreuungsangeboten.

„Statt Einzelpraxen brauchen wir multiprofessionelle Teams, die patienten- und serviceorientiert arbeiten“, ist Josef Probst vom Hauptverband überzeugt, und er denkt an erweiterte Öffnungszeiten von Ordinationen, Beratungen per Telefon und E-Mail. Letzteres wollte Allgemeinmediziner Schalk in seiner Ordination anbieten, was aber „mangels rechtlicher Grundlagen“ scheiterte.

Worüber Einigkeit herrscht: „Wenn chronisch kranke HIV-Patienten zu Experten ihrer eigenen Erkrankung werden und wissen, wo sie bei Problemen Unterstützung bekommen, ist das ein Erfolg für die Gesundheitspolitik eines Landes. Vielleicht könnte HIV zu einem Modellfall werden.

(Karin Pollack, DER STANDARD, 29.11.2014)