Online Services

Herzlich Willkommen!

willkommen.jpg
 

Männliche Magersucht und der Adonis-Komplex

Vermutlich liegt der Anteil männlicher Patienten mit Essstörung bei 15-25 Prozent.

Essstörungen tauchen in den am 50 häufigsten geklagten Beschwerden in der Allgemeinärztlichen Praxis nicht auf. Patienten mit Essstörungen wählen meist den Weg über Sekundärbeschwerden. Dem Arzt bleibt also die Herausforderung, aus den geschilderten Symptomen die Grunderkrankung zu erkennen, die aus Scham oder fehlender Bewusstheit heraus verschwiegen wird. Es ist Faktum, dass Ärzte bei mageren Männern trotz eindeutiger Befunde oft nicht an die Diagnose Magersucht denken, da diese Erkrankung wohl immer noch als spezifisch weiblich angesehen wird. Was macht die Aufdeckung so schwierig? Männer zeigen in der Regel ihre Schwächen nicht und sprechen daher ungern über ihre Krankheiten, verglichen mit Frauen erleben Männer abnormes Essverhalten erst viel später als krankhaft, es ist mit viel Scham verbunden, eine „typische“ Frauenkrankheit zu haben.

Die Kernsymptome der Magersucht (Anorexia nervosa) sind jedoch bei Männern und Frauen gleich:

–       Extreme Abmagerung unter einen BMI von 17 kg/m2.

–       Der Gewichtsverlust ist absichtlich herbeigeführt: durch Hungern, Erbrechen, Abführen, übertriebene körperliche Aktivität und Sport.

–       Panische Angst vor der Gewichtszunahme (Gewichtsphobie), verbunden mit einem extremen Umgang mit der Waage:  entweder Verweigerung  des Wiegens oder mehrfaches Wiegen täglich.

–       Es besteht eine Körperschemastörung, d.h. der Betroffene erlebt sich trotz massiver Abmagerung zu dick oder geht, wie im Falle des sog. „Adonis-Komplexes, so weit, dass sich sogar ein ausgeprägt muskulöser Bodybuilder als zu schmächtig empfindet. Die genauen psychischen und physiologischen Ursachen der Muskelsucht, die einige Psychologen auch als übersteigerten Narzissmus  beschreiben, sind noch weitgehend unerforscht.

Das Selbstwertgefühl wird gerade in der gay community immer enger an Figur und Gewicht gekoppelt, es ist dahinter eine hohe Verunsicherung in der männlichen Rollenidentität zu vermuten. Das Erreichen der Wunschfigur wird als Zeichen von Leistung und Selbstdisziplin gewertet und mit Attributen wie Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Erfolg verbunden. Äußere Attraktivität wird zur Quelle von Anerkennung, den realen Körpermaßen steht ein überzeichnetes Schönheitsideal gegenüber. Oftmals führt die Muskelsucht zur Magersucht: diese für die männliche Form der Magersucht typische Entwicklung erscheint zunächst paradox, da am Beginn der Wunsch nach einer perfekten Formung des Körpers durch gezielte Muskelzunahme steht. Es werden zwanghaft Nahrungsmittel und Diäten ausgewählt, die spezifisch den Muskelaufbau fördern sollen. Dieses meistens genussfeindliche Verhalten fördert jedoch mit zunehmender Dauer oft die Tendenz zu impulsiven Durchbrüchen mit Fressanfällen, was wiederum in weiterer Folge zu vermehrten Kontrollanstrengungen und noch extremeren Diäten führen kann. Der ursprüngliche Gedanke des Muskelaufbaus tritt irgendwann in den Hintergrund und mündet in die Magersucht- als Sieg der Selbstdisziplin über die Gefühle. Der mit der Mangelversorgung einhergehende Eiweißabbau in allen Organen (Leber, Herz, Niere, Gehirn) kann diese nachhaltig schädigen, zudem kann es zu lebensbedrohlichen Entgleisungen der Blutsalze (Elektrolyte) kommen, Libido-und Sexualfunktionsstörungen, Haarausfall und Osteoporose sind ebenfalls häufige Folgen.

Hauptziele der Behandlung, die oftmals stationär in spezialisierten Zentren erfolgen muss, sind Bearbeitung der Körperschemastörung, genaue Analyse eventuell zugrundeliegender Beziehungsstörungen und asketischer Leistungsideale, um letztlich schrittweise ein normales Essverhalten wieder zu erlernen. Insgesamt soll im Rahmen der Therapie das Selbstwertgefühl und Identitätserleben des Betroffenen dauerhaft verbessert werden.

Tipps für die Praxis: Haben Sie keine Scheu, eine vorhandene Ess- und Körperschemastörung mit dem Arzt Ihres Vertrauens zu thematisieren. Er wird Ihnen gezielte Hilfestellung (Psychotherapie, stationärer Aufenthalt..) anbieten und Sie motivierend und begleitend unterstützen. Nur so können lebensbedrohliche körperliche und seelische Dauerschäden vermieden werden.